E-Democracy

Wie Online-Plattformen den demokratischen Prozess bereichern können – und warum manche Bereiche am besten analog bleiben.

Winter 2020/21. Das ganze Land befindet sich im Lockdown, das öffentliche Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Schulen, Universitäten, Geschäfte, Restaurants und Büros sind vielerorts geschlossen. An Veranstaltungen ist nicht zu denken, oder? Nun ja, nicht ganz. Es gibt nämlich eine Ausnahme: Parteitage.

Aber warum müssen die in Präsenz stattfinden? Schlägt die deutsche Digitalisierungs-Schlafmützigkeit mal wieder zu? – Nein, so einfach ist es nicht. Wahlen und Abstimmungen am Computer bringen nämlich erhebliche Probleme mit sich. Aber digitale Formate bringen auch Chancen, die Teilhabe an der politischen Willensbildung zu verbessern.

Die Anforderungen an unsere Parteien

An Parteien werden vom Gesetzgeber noch engere Maßstäbe angelegt, so schreibt das Parteiengesetz eine demokratische innere Struktur der Parteien vor [1]. Dazu gehört auch die freie, gleiche, geheime und nachvollziehbare Wahl von parteiinternen Ämtern sowie Listen und Kandidaten für staatliche Wahlen.

Parteien müssen regelmäßig ihre Ehrenämter (neu) wählen. Die Art und Weise, wie diese Wahl zu erfolgen hat, ist in der Satzung vorgeschrieben. Um die Satzung zu ändern und ggf. eine Online-Wahl zu ermöglichen, ist aber in der Regel eine (Präsenz-)Mitgliederversammlung als höchstes Beschlussgremium nötig. Wer da von der Pandemie kalt überrascht wird, steckt auf einmal in der Bredouille.

Durch den bottom-up-Aufbau von Parteien ergibt sich so eine Vielzahl von Wahlen auf Orts-, Kreis-, Regions-, Landes- und Bundesebene sowie die Wahl von Delegierten aus der Mitte der Versammlungen für deren Vertretung auf den höheren Ebenen [8].

Exemplarischer Aufbau einer Partei am Beispiel der FDP (https://fdp-hessen.de/gliederung-der-fdp/)

Werden hier satzungsmäßig und gesetzlich vorgeschriebene Bedingungen nicht eingehalten, droht ggf. die Erklärung einer Wahlliste oder Nominierung für ungültig und damit die Anfechtbarkeit der Amtsbesetzung oder sogar der Verlust in einer Wahl errungener Mandate. Dies kommt auch bei größeren Parteien immer mal wieder vor: so geschah es beispielsweise der sächsischen AfD bei der Aufstellung ihrer Landesliste zur sächsischen Landtagswahl 2019, aufgrund einer unzulässigen Aufteilung der Listenaufstellung auf zwei Parteitage durften nur 18 der 61 Kandidaten zur Landtagswahl antreten [2]. Ebenso ist möglicherweise die Landesliste der saarländischen Grünen zur diesjährigen Bundestagswahl ungültig, da mit der Wahl möglicherweise gegen die Satzung der Partei verstoßen wurde, was zur Klärung an ein Schiedsgericht überwiesen wurde [3].

Der Wahlprozess

In Präsenz wird eine Wahl beispielsweise in Form der (verbundenen) Einzelwahl auf Papier durchgeführt:

Hierbei werden Blöcke mit nummerierten Wahlzetteln ausgegeben. Dadurch ist sichergestellt, dass jeder nur einen Wahlzettel abgeben kann, denn Wahlzettel, deren Nummer nicht mit der Nummer des Wahlgangs übereinstimmt, sind ungültig.

Auf diesem Wahlzettel wird die Stimme abgegeben (z. B. ja/nein/Enthaltung, oder der/die Namen der/des präferierten Kandidat:innen). Anschließend werden diese gefaltet, in einer Urne gesammelt, und unter den Augen mehrerer Wahlhelfer:innen sowie ggf. weiteren Beobachter:innen ausgezählt.

Danach werden diese Wahlzettel ggf. in der Geschäftsstelle aufbewahrt, so dass auch im Nachhinein bei Unstimmigkeiten nachgezählt werden und das Wahlergebnis somit nachvollzogen werden kann.

Die Schwierigkeiten der Online-Wahl

Grundsätzlich ist die spätere Nachvollziehbarkeit einer Wahl am Computer problematisch. Computer sind schließlich Maschinen zum Manipulieren von Daten. Speichert man zum Ergebnis zusätzlich auch die abgegebenen Stimmen in manipulationssicherer Weise, so ist die Wahl nicht mehr geheim. Schließlich muss zur Sicherstellung, dass nur Stimmberechtigte eine Stimme abgeben und jeweils nur eine Stimme abgegeben wird, vor der Stimmabgabe irgendwie authentifiziert werden. Diese Authentifizierung macht aber rückverfolgbar, wer die Stimme abgegeben hat.
Um dieses Problem technisch zu lösen gibt es Ansätze wie bspw. das Produkt POLYAS, bei dem Authentifizierung und Stimmabgabe auf getrennten Systemen stattfinden und die korrekte Verbuchung der Stimmabgabe durch die Wähler:in anhand eines Hashes überprüfbar ist [4,5,6,7].

Eine weitere Möglichkeit ist die papiergestütze Wahl per Postumlauf, um das informelle Ergebnis einer Online-Versammlung rechtssicher zu bestätigen. Dieses Verfahren haben wir bspw. im Vorstand meines Ortsverbandes gewählt, um die eher unkontroverse Aufnahme eines Neumitglieds zu bestätigen.

Genug gemeckert! Wie Online-Formate der Demokratie helfen können

Politische Teilhabe ist aber mehr als nur Personen in Ämter zu wählen. Und hier können Online-Formate richtig was reißen. Während auf Orts- und Kreisebene die Entfernungen noch überschaubar sind, stellen die großen räumlichen Entfernungen auf Landes- und Bundesebene eine erhebliche Hürde zur Teilnahme an Veranstaltungen dar. Gerade wer nicht zentral in einer großen Stadt wohnt, vielleicht keinen Zugriff auf ein Auto oder auf öffentlichen (Nah-)Verkehr hat, aber auch, wer einfach nicht die Zeit und das Geld hat, für eine zweistündige Sitzung nochmal mehrere Stunden durch die Gegend zu fahren oder sich für die Teilnahme an einem mehrtägigen Parteitag ein Hotelzimmer zu mieten, wird so davon abgehalten, sich politisch zu engagieren. Dabei sind meiner Meinung nach gerade die Perspektiven von in diesem Sinne weniger privilegierter Menschen besonders wertvoll, um eine für alle Menschen funktionierende Politik zu schaffen.

Ein Bereich, in dem sich die Online-Formate wirklich bezahlt gemacht haben, ist die inhaltliche Arbeit. So leite ich stellvertretenderweise einen fachpolitischen Arbeitskreis auf Landesebene bei einer politischen Jugendorganisation. Während ich im äußersten Süden Hessens wohnen, kommen andere Teilnehmer beispielsweise aus nordhessischen Kreisverbänden. Würden wir uns in Präsenz treffen, hätten wir dafür mehrere Stunden einfache Strecke fahren müssen. Zeitlich wäre das vermutlich sehr schwierig geworden, und wir hätten vermutlich einige Sitzungen gar nicht oder nur mit weniger Teilnehmern durchführen können, so dass einige gute Ideen nicht eingebracht worden wären. Abstimmungen sind hier unproblematisch, da diese nicht geheim erfolgen müssen und somit einfach per Handzeichen vor der Kamera vorgenommen werden können.

Aber auch auf Parteitagen können nicht-Delegierte wertvolle Debattenbeiträge einbringen, obwohl sie nicht stimmberechtigt sind, z.B. durch Änderungsanträge und Redebeiträge. Auch hier ist die Hürde geringer, wenn das ohne weite Fahrt und Blockade eines ganzen Wochenendes erfolgen kann. Hierbei unterstützt z.B. das webbasierte Tool Openslides, in welchem Anträge, Änderungsanträge, Redeliste und Abstimmungen übersichtlich verfolgt werden können.

Quellen und Fußnoten

[1] https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202040/innerparteiliche-demokratie
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/landeswahlausschuss-sachsens-afd-liste-teils-ungueltig-100.html
[3] https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/gruene_saarland_wahl_neue_landesliste_100.html
[4] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Online-Parteitage-Warum-digitale-Wahlen-ein-Problem-fuer-die-Parteien-sind-id58476701.html
[5] https://t3n.de/news/online-wahl-cdu-parteitag-problem-1350447/
[6] https://www.polyas.de/sicherheit/wahlgrundsaetze
[7] https://www.polyas.de/sicherheit/wahlgeheimnis
[8] https://fdp-hessen.de/gliederung-der-fdp/

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